Ein Gespräch mit Gesche Joost

Wie wichtig sind Digitalkompetenzen auf dem heutigen Arbeitsmarkt?

Wir erleben auf dem Arbeitsmarkt gerade eine enorme Disruption. Immer mehr Jobs werden automatisiert und fallen damit entweder komplett weg oder verändern sich.

Ich halte zwar nichts davon, amerikanische Studien, wie etwa die von Osborne/Frey von 2013, auf den deutschen Arbeitsmarkt zu übertragen und davon zu sprechen, dass fast jeder zweite Job gefährdet ist, aber wir sehen doch, dass wir neue Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt brauchen – und diese sind vor allem Digitalkompetenzen.
Code your life
In der smarten Fabrik werden Mensch-Maschine-Interaktionen immer häufiger auftreten – oft zum Vorteil für den Menschen, der beispielsweise keine körperlich anstrengenden Arbeiten übernehmen muss. Und: viele Jobs, die wir in 2025 besetzen werden, gibt es heute noch gar nicht. Biologen, die Organe per 3D-Drucker züchten. Digital-Mechaniker für das Internet der Dinge. Für diese Jobs müssen wir aber jetzt Schülerinnen und Schüler ausbilden.

Wie schätzen Sie die IT-Kompetenzen unserer zukünftigen Berufstätigen ein?
Laut der International Computer and Information Study (ICILS) vom Herbst 2014 besitzen 30 Prozent der zwölf- und dreizehnjährigen Schüler in Deutschland im weltweiten Vergleich keine bis wenige digitale Kompetenzen. Diese Zahl ist durchaus alarmierend. Bisher ist es meist so, dass diejenigen über hohe Digitalkompetenz verfügen, die aus einem sehr bildungsnahen Elternhaus kommen, oder zufällig bei einem Unternehmen arbeiten, dass sie digital weiterbildet. Digitalkompetenz darf aber kein Elitenphänomen werden.

Woran liegt es, dass die Vermittlung von Medienkompetenzen in Deutschland noch nicht als vierte Kulturtechnik angesehen wird bzw. in vielen Schulen gar nicht/kaum angeboten wird?
Wir scheinen in Deutschland Angstdebatten zu lieben, wenn es zur Digitalisierung kommt. Hierzulande wird gerne und viel darüber geredet, wie gefährlich das Internet doch sei. Und soziale Medien werden sowieso verteufelt. Programmieren hat immer noch einen Nerd-Charakter. Wie soll man da in den Schulen Lust auf diese Themen machen? Wenn die Eltern in allen Zeitungen immer wieder lesen, wie furchtbar das Internet doch ist? Dabei ist Programmieren eine kreative Möglichkeit, um etwas zu verändern.

Mit Micro-Controller kann man zum Beispiel zum Entdecker werden und Luftqualität, Bodenfeuchte oder Temperatur messen – und das alles draußen in der Natur. So werden alle bestens auf die Jobs der Zukunft vorbereitet. Ich würde mir manchmal eine mediale Imagekampagne fürs Programmieren wünschen. Vor allem in der Lehrerfortbildung sollte mehr digitale Kompetenz vermittelt werden.

Da Bildung als Länderhoheit gesetzlich verankert ist, bleibt die Situation unübersichtlich, wo Kinder eigentlich digitale Kompetenzen im Unterricht erlernen. Jedes Land fährt eine andere Strategie und manche gar keine. Wenn man beispielsweise in Bremen viel Wert auf Digitalkompetenz legt, aber in anderen Bundesländern nicht, dann entscheidet quasi wieder die Herkunft über die Qualität von Bildung. Das finde ich manchmal sehr schwierig.
Was könnte hier verbessert werden?
Wir sollten gemeinsam in Deutschland für digitale Bildung eintreten, die Vermittlung digitaler Fähigkeiten im Curriculum fest verankern, die Schulen besser ausstatten und die Lehrer fortbilden – das wäre schon mal ein Anfang.

Gibt es Beispiele, die Sie für nachahmenswert halten?
Ich bin ein großer Fan des Micro:Bit, dem Minicomputer, der Anfang 2016 kostenlos an eine Million britischer Siebtklässler verteilt wurde. Die Initiative der BBC bietet Kindern früh die Möglichkeit, ganz spielerisch zu Programmieren. So etwas könnte ich mir für Deutschland auch gut vorstellen. Das Tolle an so einer Lösung ist, dass man den Computer über alle Unterrichtfächer hinweg einsetzen könnte. So wird Digitalisierung direkt in den Unterricht integriert.

Die Initiative Code your Life bietet 10-14-Jährigen Programmierworkshops und entsprechendes kostenloses Lehrmaterial. Halten Sie dieses Projekt für einen Schritt in die richtige Richtung?
Auf jeden Fall! Wir sollten Schüler und Lehrer ermächtigen, um Teil der digitalen Gesellschaft zu werden. MOOCs (Massive Open Online Course) sind dabei besonders wichtig. Jeder sollte Zugang zu den Lehrmaterialen haben. Freier Zugang zur Bildung - genau das ist das große Versprechen des Internets und ich freue mich sehr, dass immer mehr Unternehmen und auch die Bundesregierung MOOCs unterstützen. Auch den Girls Day finde ich super. Programmieren wird ja häufig noch als Jungs-Sache angesehen. Mädchen mit Technik zusammenzubringen, finde ich ungemein wichtig. Auf der Code-Week sehen wir häufig, wie anfängliche Skepsis schnell in Begeisterung umschlägt.

Kann eine fehlende rechtzeitige Förderung digitaler Kompetenzen zu einer Gefährdung des bis dato sehr erfolgreichen Wirtschaftsstandorts Deutschlands führen?
Digitalkompetenz wird zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor werden. In einer Studie vom Bitkom geben neun von zehn Unternehmen an, dass die Digitalkompetenz der Beschäftigten genauso wichtig, wie fachliche, oder soziale Kompetenz ist, und fordern dezidiert Weiterbildungen in diesem Bereich. Umso ernüchternder ist es, dass nur 31 Prozent der Unternehmen eine Strategie zur digitalen Weiterbildung ihrer Beschäftigten haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch im BigData-Zeitalter weltweit an der Spitze sein können. Allerdings müssen wir über alle Bildungsbereiche hinweg Digitalkompetenz fördern und fordern. Hier gibt es noch viel zu tun.
Code your life

Zur Person

Gesche Joost ist Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin und leitet das Design Research Lab. Gemeinsam mit internationalen Partnern entwickelt sie Forschungs- und Lehrprojekte zu den Themen Mensch-Maschine-Interaktion, zu Gender- und Diversity-Aspekten in der Technologie-Entwicklung sowie zur sozialen Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Partizipation.

Sie ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung e.V. und Mitglied des Vorstands der Technologiestiftung Berlin. Seit 2014 ist sie Internetbotschafterin der Bundesregierung für die Europäische Kommission.

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