So wird ein Schuh draus

Anti-Stolper-Schuhe als Alltagshelfer

In der Jugend forscht AG in Neustadt sind viele zukünftige Forscher und Wissenschaftler zu finden. So zum Beispiel Luis Geissler. Er hat sich zum Ziel gesetzt, sehbeeinträchtigten Menschen eine Hilfestellung zu bauen, damit sie sich sicherer bewegen können und sich beispielsweise im Verkehr besser zurechtfinden. Erfunden hat er deshalb die Anti-Stolper-Schuhe. Insgesamt hat er sich 20 Monate Zeit gelassen, geforscht und programmiert, Prototypen hergestellt, optimiert und weiter an dem perfekten Modell gearbeitet.

Im Interview zusammen mit seinem AG-Leiter Sergej Buragin erzählt uns Luis, wie ihn seine eigene Familiengeschichte inspiriert hat, die Anti-Stolper-Schuhe zu entwickeln.
Code your life
Hallo Luis, wie bist du eigentlich zum Erfinder geworden?

Luis: Ich war eigentlich schon immer Erfinder. Schon als kleines Kind habe ich immer alles auseinandergenommen und etwas Neues daraus gebaut. Das fand meine Mama immer beeindruckend. Sie ist selbst Lehrerin und weiß, wie wichtig es ist, dass Kinder sich ausleben können müssen. Herr Buragin hatte in ihrer Schule einmal die Jugend forscht AG vorgestellt und daraufhin hat sie mich da hingeschickt. Und jetzt bin ich schon drei Jahre dabei. Dort habe ich dann auch erst richtig angefangen, Sachen – ich sag jetzt mal – professionell zusammenzubauen und habe zum Beispiel gelernt, mit dem Lötkolben zu arbeiten und zu schweißen.

Und wie ist die Idee zu den Schuhen entstanden?

Luis:Meine Oma hat eine Augenkrankheit, die mit der Zeit immer schlimmer wurde. Jetzt hat sie nur noch zwei Prozent ihrer Sehkraft. Ich gehe immer mit ihr einkaufen und sie stolpert öfter bei Bordsteinen oder anderen Hindernissen. Sie will auch keinen Gehstock verwenden, was ich irgendwie verstehen kann. Man will sich nicht entblößen, dass man behindert ist. Darum wollte ich etwas Unauffälliges entwickeln, dass ihr helfen kann. Von der Idee her wollte ich zuerst etwas auf einen Schuh setzen, aber dann habe ich lieber etwas eingebaut. Ich dachte mir: „Hey, das ist doch ne tolle Idee“.

Herr Buragin, Sie leiten die Jugend forscht Schüler AG. Warum engagieren Sie sich dort so stark?

Sergej Buragin: Ich habe einen Migrationshintergrund und komme ursprünglich aus Russland. In meiner Kindheit gab es dort ein sehr großes Angebot an technischen AGs und Ähnlichem. Als ich nach Deutschland kam, genauer gesagt in die Pfalz, nach Neustadt an der Weinstrasse, war ich erstaunt, dass es relativ wenig Angebote für Kinder und Jugendliche, gab, um sich im technischen Bereich ausprobieren zu können. Weil ich ein leidenschaftlicher Bastler und Tüftler bin und ich diese Leidenschaft teilen möchte, habe ich zusammen mit einem Kollegen die Jugend forscht AG initiiert. Wir fingen mit nur ein paar Schülern an und über die Jahre wurden es immer mehr. Sicher, es läuft nicht immer alles glatt, aber so ist das überall. Die Eltern helfen uns, auch die Co-Betreuer und ein Informatiklehrer, der regelmäßig kommt. Wir haben lange überlegt, unter welchem Dach wir die AG laufen lassen könnten. Schließlich haben wir unsere Nische gefunden und 2017 einen Förderverein gegründet.

Inwiefern konnten Sie Luis bei seiner Erfindung zur Seite stehen?

Sergej Buragin: Am Anfang haben wir in einem Brainstorming überlegt, was für ein Projekt die Welt interessieren könnte. Wir sind dann schnell auf den Bereich Reha [Rehabilitation, Anm. d. Red.] und Menschen mit Handycamps gekommen. Weil Luis` Oma sehr schlecht sehen kann, war sein Gedanke, vielleicht eine Sensortechnik zu verwenden, die er in ihre Schuhe einbauen kann. Er war in der Umsetzung seiner Idee durchweg sehr selbstständig. Er schaute sich viele, verschiedene Tutorials an und brachte dann eher mir etwas bei. Er hat die ganze Elektronik eingebaut, da musste ihm kaum geholfen werden. Manchmal hatte er Fragen zum elektrischen Widerstand oder Ähnlichem, aber zu 99% hat er alles allein gemeistert.

Wie sind Sie auf den Coding Cup aufmerksam geworden?

Sergej Buragin: Auf der Suche nach einem passenden Wettbewerb für ein paar Projekte aus der AG habe ich den Coding Cup von Code your Life entdeckt. Das hat genau gepasst. Ich finde es außerdem gut, wenn man bei der Entwicklung von einer Idee immer auch ein Ziel vor Augen hat und an einem solchen Wettbewerb mitmacht. Am Ende kann man nicht nur einen Preis dafür gewinnen, sondern man sieht vielleicht auch eine andere Stadt, tauscht sich aus und hat Spaß dabei. Bei „Jugend forscht“ probiert man sich aus und sammelt Erfahrungen. Es gibt viele AGs an Schulen, aber ich wollte ein Zentrum aufbauen, unabhängig von Schulklassen und Schultypen, in dem zukunftspädagogisch, integrativ und inklusiv gearbeitet wird. Luis kommt sogar immer extra aus Landau zu uns gefahren – das ist circa 20 Minuten mit dem Zug entfernt. Inzwischen ist die Gruppe sehr bekannt geworden, unter anderem auch, weil wir 2015 Preisträger beim Deutschen Multimediapreis geworden sind.

In Ihrer Jugend Forscht AG haben schon viele Kinder und Jugendliche Preise für Ihre Ideen und Projekte gewonnen. Was ist das Erfolgsrezept ihrer Gruppe?

Sergej Buragin: Das stimmt, die Kinder haben schon viel gewonnen. Ich habe da mal eine Formel überlegt, die ein erfolgreiches Projekt in meinen Augen haben muss. Erstens: Es muss bei uns im Klassenraum umzusetzen sein. Wir haben hier nur einfache Instrumente, darum darf es grundsätzlich nicht zu komplex werden. Der zweite Punkt ist, dass das Projekt einen gewissen Wow-Effekt haben muss. Die Leute sollen sich fragen, wie man auf die Idee dazu gekommen ist, und genau das ist es, was Aufmerksamkeit schafft. Und der dritte Punkt ist, dass es etwas sein muss, das die Menschheit braucht. Das Zielt sollte sein, dass wir Menschen helfen wollen. Darum arbeiten wir auch mit einem Krankenhaus zusammen. So haben wir zum Beispiel einen Roboter
entwickelt, der Kindern mit Diabetes helfen soll. Und auch Prothesen sind etwas, das wir anpacken. Das Besondere an Luis‘ Anti-Stolper-Schuhen ist nicht nur der inklusive Ansatz, sondern eben auch, dass sie alle Punkte dieser Erfolgsformel erfüllen: Sie haben einen einfachen Aufbau und er ist froh, wenn er damit Menschen helfen kann. Seine Erfahrung mit seiner Oma, also die eigene Familiengeschichte, war da die Inspiration.

Luis, hattest du Testpersonen an deiner Seite, die die Schuhe ausprobiert haben?

Luis: Meine Oma hat sie tatsächlich als Erste ausprobiert. Ich wollte aber auch erstmal schauen, wie ich das System für den Schuh professioneller herstelle. Die ersten Schuhe, die ich verwendet habe, waren meine alten Laufschuhe. Die haben extrem dicke Sohlen. Bei meiner Oma hatte aber das Problem, dass das Paar etwas zu groß für sie war. So ist die Idee entstanden, dass man als Verbraucher keine Schuhe kaufen muss, sondern stattdessen zum Orthopäden seines Vertrauens gehen kann. Es soll Kits für die Schuhe geben, die eingebaut werden können. So spart der Kunde Geld und auch in der Produktion wird das preiswerter.

Du bist also schon mit der Vermarktung der Schuhe beschäftigt?

Luis: Ja, seit zwei Jahren bin ich schon dran, eine Firma zu finden, die den Anti-Stolper-Schuh auch professionell herstellen würde. Das hat bis jetzt leider noch nicht funktioniert, weil man dafür Startkapital mitbringen muss und man auch einen guten Prototypen anbieten muss. Es hat mir großen Spaß gemacht, schon einmal einen Businessplan zu machen. Das fand ich cool. Ich habe mich außerdem damit beschäftigt, zu schauen, mit welchen Tricks ich noch besser und preiswerter werden kann. Dabei ist mir aber auch wichtig, dass ich ethisch vertreten kann, was ich anbiete und ich voll dahinterstehen kann. Es ist total interessant, was man sich bei anderen Firmen in dieser Richtung abschauen kann. Jede Firma macht das aber auch individuell.

Warum ist die Lehre von MINT-Fächern an Schulen dahingehend wichtig?

Sergej Buragin: In der Schule werden diese Fächer noch nicht so richtig vermittelt. Ich kann da die Verhältnisse vergleichen. Ich unterrichte ja an einer berufsbildenden Schule, da haben wir die Möglichkeiten. Aber an allgemeinbildenden Schulen hat Informatik beispielsweise noch nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Haptisches ist allgemein auch nicht mehr so involviert – repariert wird kaum noch heutzutage. Und Schüler wissen oftmals nicht, wie ein Smartphone funktioniert. Schon heute sind sehr viele Stellen für Ingenieure frei - da müssen wir also ganz dringend nachholen und das Wahlpflichtfach Technik einführen.

Welche Unterstützung würden Sie sich speziell für Ihre Jugend forscht AG wünschen?

Sergej Buragin: Wir könnten immer noch mehr Betreuer gebrauchen. Ich bin jeden Tag ungefähr zwei bis drei Stunden in der AG und würde mich freuen, wenn mehr Leute helfen würden. Die Gruppen sollten nämlich nicht zu groß werden. Neustadt ist eben eine kleine Stadt – hier gibt es keine Hochschule oder Uni, von der beispielsweise Studenten kommen könnten. Ich beneide da immer meine Kollegen aus größeren Städten, denn dort gibt es mehr Vernetzungsmöglichkeiten. Ich bin sehr dankbar, dass wir zum Beispiel vom Stadtrat und dem Bürgermeister toll unterstützt werden und wir neue Räumlichkeiten mit mehr Platz und neue Materialien zur Verfügung haben. Ich möchte unbedingt auch gerne Projekte starten, mit denen sich mehr Mädchen angesprochen fühlen. Unsere Damenquote ist leider katastrophal. Wir haben in unserer AG leider nur ein Mädchen dabei. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit passenden Themen auch mehr Mädchen ansprechen könnten.

Bist du mit den Anti-Stolper-Schuhen jetzt zufrieden oder tüftelst du daran noch weiter?

Luis: Das Tüfteln stellen sich viele Menschen immer so vor, als ob man immer gleich in die Werkstatt geht. Ich bin noch beim Planen und Verbessern der letzten Version. Achtzig Prozent sind dabei theoretisches Planen. Ich mache das immer am PC. Ich bin davon weggekommen, dass per Hand zu machen. Man kann Projekte darstellen und alles exakter planen. Außerdem kann man Hotspots für Gefahren und Probleme entdecken und dann schneller bekämpfen.

Magst du uns noch verraten, an welchen Projekten du noch arbeitest?

Luis: Momentan sind meine Anti-Stolper-Schuhe mein Fokus. Sie sind jetzt inzwischen in der vierten, finalen Version. Ich habe aber auch schon einen 3D-Drucker gebaut und andere, kleinere Projekte am Laufen, zum Beispiel einen Iron Man Anzug. Erfindungen und Projekte zu machen, die richtige Publikumsmagnete sind – das ist eine der Stärken unserer Jugend forscht AG. Der Zuschauer soll sich am besten immer fragen: „Warum blinkt es? Warum zischt es? Wie sind die auf die Idee gekommen“.

„Ich bin Erfinder und möchte die Welt verbessern.“

Das sagt Luis Geissler über sich, denn er will Dinge entwickeln, die für den Menschen lebenspraktisch und nützlich sind. In seinem Video erklärt er ganz anschaulich, wie seine "Anti-Stolper-Schuhe" entstanden sind - vom ersten Prototypen bis hin zum fertigen Modell. Außerdem zeigt er, wie man die Schuhe ganz praktisch wieder aufladen kann. Unbedingt anschauen!

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